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Es z\u00e4hlt zu den gro\u00dfen Ironien der Geschichte, dass viele Entscheidungen, die die Axt am Staat gelegt haben, nicht nur von Konservativen kamen, sondern h\u00e4ufig auch eine sozialdemokratische Mitt\u00e4terschaft aufweisen. Ein markantes Beispiel daf\u00fcr ist die Schuldenbremse.<\/p>\n\n\n\n

Seit dem Urteil aus Karlsruhe r\u00fcckt die Schuldenbremse, die zuvor haupts\u00e4chlich in den Kreisen von \u00d6konomen und Finanzexperten diskutiert wurde, in den Fokus der \u00f6ffentlichen Aufmerksamkeit. Doch die negativen Auswirkungen dieser deutschen Schuldenphobie waren schon viel fr\u00fcher sichtbar.<\/p>\n\n\n\n

Die Schuldenbremse ist ein relativ neues Instrument. Die meiste Zeit ihrer Geschichte kam die Bundesrepublik ohne eine solche verbindliche Vorgabe zur Reduzierung des Haushaltsdefizits aus. Es war das neoliberale Credo \u201eDer Markt regelt alles\u201c, das seit den 1990er Jahren zu einer Deregulierung der Banken und der Wirtschaft f\u00fchrte. Die Gewinne, die \u00fcber Jahre hinweg durch die Banken erwirtschaftet wurden, flossen den Reichsten der Reichen zu. Als jedoch die von der Privatwirtschaft eingegangenen Risiken w\u00e4hrend der Weltwirtschaftskrise 2008 in Verluste umschlugen, mussten der Staat einspringen. Nach Jahren der Gewinne waren durch die Privatwirtschaft eingegangene Risiken zu Verlusten geworden, welche durch staatliche Gelder aufgefangen wurden. In einer kruden Verdrehung der Realit\u00e4t wurden Ursache und T\u00e4ter der Krise vertauscht. Statt die Banken, die sich historisch verzockt hatten zu bestrafen, legten SPD und CDU dem Staat die Ketten an. Inmitten der Weltwirtschaftskrise 2008 war die Staatsverschuldung auch in Deutschland massiv angestiegen. Die Banken- und Wirtschaftsrettung hatte Milliarden auf Kredit gekostet. Die Gro\u00dfe Koalition aus SPD und CDU schmiedete mit ihrer Zweidrittelmehrheit im Grundgesetz eine Regelung zur Begrenzung der Neuverschuldung, um ‚f\u00fcr kommende Generationen keine Lasten zu schaffen‘. Die Schuldenbremse limitiert die strukturelle Neuverschuldung des Bundes auf maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Artikel 109 (3) GG besagt seither: ‚Die Haushalte von Bund und L\u00e4ndern sind grunds\u00e4tzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.‘ Nur in Notlagen darf der Bund die Schuldenbremse kurzfristig lockern. SPD-Finanzminister Peer Steinbr\u00fcck trieb diese Regelung voran. Die CDU setzte f\u00fcr die Bundesl\u00e4nder sogar noch strengere Regelungen durch.<\/p>\n\n\n\n

Als Reaktion auf ein Marktversagen wurde dem Staat ein Investitionsverbot auferlegt. Es war der gr\u00f6\u00dfte finanzpolitische Fehler der Bundesrepublik.<\/p>\n\n\n\n

Die Auswirkungen der Schuldenbremse sind nicht nur im Urteil des Verfassungsgericht sichtbar. Ein Blick auf das Land reicht aus um die fatale Wirkung zu beobachten. Die Investitionen in Stra\u00dfen-, Schienen- und \u00f6ffentliche Verkehrsmittel wurden durch die Schuldenbremse massiv begrenzt. Die Deutsche Bahn ist heute nur noch ein Schatten ihrer einstigen Gr\u00f6\u00dfe. Viele Verkehrssysteme leiden unter mangelnder Wartung und Modernisierung. Der Ausbau der digitalen Infrastruktur, insbesondere in l\u00e4ndlichen Gebieten, wurde durch die Schuldenbremse stark behindert. Deutschland 2023 ist in Zeiten von KI und Automatisierung ein digitales Entwicklungsland. Der soziale Wohnungsbau, der entscheidend f\u00fcr die Bereitstellung bezahlbaren Wohnraums ist, kam seit 2008 nahezu zum Erliegen. Die durch die Schuldenbremse noch viel st\u00e4rker belasteten Bundesl\u00e4nder haben seit 2008 kaum noch in Bildung investieren k\u00f6nnen. Schulen leiden unter veralteten Geb\u00e4uden und unzureichender Ausstattung. Es fehlt an Mitteln um die Bildungskatastrophe zu bek\u00e4mpfen.<\/p>\n\n\n\n

Die zuk\u00fcnftigen Generationen ‚danken‘ daf\u00fcr.<\/p>\n\n\n\n

Der \u00d6konom Sebastian Dullien, Wissenschaftlicher Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts f\u00fcr Makro\u00f6konomie und Konjunkturforschung (IMK), spricht mittlerweile von einem ‚gewaltigen Reinfall‘. Selbst der ehemalige SPD-Finanzminister Steinbr\u00fcck h\u00e4lt die Schuldenbremse mittlerweile \u201ef\u00fcr nicht mehr zeitgem\u00e4\u00df\u201c. Er betont den extremen Investitionsbedarf in verschiedenen Bereichen und weist darauf hin, dass wir in einer anderen Zeit als 2009 leben, als die Schuldenbremse wegen der hohen deutschen Staatsverschuldung ins Grundgesetz aufgenommen wurde. Selbst f\u00fcr den Vater der Schuldenbremse ist klar: So kann es nicht weitergehen.<\/p>\n\n\n\n

Deutschland befindet sich in einer ‚Zeitenwende‘. Sp\u00e4testens seit dem Ukraine-Krieg und der zeitgleich folgenden Energiekrise wurde der Politik klar, dass mit der Schuldenbremse kein Staat f\u00fcr die Zukunft gemacht werden kann. Aber weil die Schuldenbremse in den K\u00f6pfen der meisten Menschen immer noch als Symbol f\u00fcr solide Haushaltspolitik gilt, traute sich kein Politiker der Ampelkoalition oder der CDU, dies offen auszusprechen. Stattdessen wurde die Schuldenbremse seit 2020 zunehmend als Fassade missbraucht und umgangen. Mit einem Sonderverm\u00f6gen f\u00fcr die Bundeswehr in H\u00f6he von 100 Milliarden Euro wurden an der Schuldenbremse vorbei riesige Investitionen f\u00fcr die milit\u00e4rische Aufr\u00fcstung get\u00e4tigt. Auch in zahlreichen unionsgef\u00fchrten Bundesl\u00e4ndern wurden Sonderverm\u00f6gen eingerichtet, um an der \u2013 noch strengeren \u2013 Landesschuldenbremse vorbei investieren zu k\u00f6nnen. Es war aber die Ampelkoalition, die das Fass zum \u00dcberlaufen brachte und die Schuldenbremse ad absurdum f\u00fchrte. Damit der FDP-Finanzminister Christian Lindner seiner neoliberalen W\u00e4hlerschaft nicht erkl\u00e4ren m\u00fcsste, warum er den Staat nicht abschafft, sondern mit mehr Krediten zur Umwandlung in eine klimaneutrale Wirtschaft beitr\u00e4gt, wurde ein Schattenhaushalt gebildet. 60 Milliarden ungenutzte Schulden aus der Coronakrise wurden an der Schuldenbremse vorbei in den Staatshaushalt gebracht. Es war jedem in dieser Regierung bewusst, dass diese Tricksereien vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern k\u00f6nnten. Aber dem Finanzminister waren zwielichtige Schattenhaushalte lieber als die Ehrlichkeit mit der Bev\u00f6lkerung, dass mit der Schuldenbremse die Aufgaben der Zeit nicht mehr machbar sind. Nach dem Urteil aus Karlsruhe soll jetzt r\u00fcckwirkend f\u00fcr 2023 und eventuell 2024 die Notlage vom Bundestag beschlossen werden, um die Schuldenbremse auszusetzen. Wie es nach 2024 weitergeht, bleibt unklar. Immer noch setzen Scholz und Lindner auf halbgare Beschl\u00fcsse statt der vollen Wahrheit.<\/p>\n\n\n\n

Die Zukunft erreicht man nicht, indem man auf die Bremse tritt. Es bedarf Investitionen f\u00fcr die kommenden Generationen.<\/p>\n\n\n\n

Diese Krisen erfordern schnelle, flexible und umfassende Reaktionen, insbesondere im Bereich der erneuerbaren Energien, der Bildung und der wirtschaftlichen Unterst\u00fctzung. Die Schuldenbremse jedoch schr\u00e4nkt die finanziellen M\u00f6glichkeiten der Regierung ein, proaktiv zu agieren und notwendige Investitionen zu t\u00e4tigen, um die Auswirkungen dieser Krisen abzumildern. Von der Autoindustrie bis zur Chemieindustrie zittern nach dem Urteil in Karlsruhe nicht nur gr\u00fcne Umweltaktivisten , sondern auch die kapitalistische Elite. Selbst eine von der CDU und FDP alleine gef\u00fchrte Regierung wird f\u00fcr ihre Ideen Milliarden aus dem Haushalt ben\u00f6tigen. Die Schuldenbremse ist kein Ampel-Problem, sie ist ein Zukunftsproblem.<\/p>\n\n\n\n

2008 eingef\u00fchrt, um k\u00fcnftige Generationen zu sch\u00fctzen, ist sie l\u00e4ngst zum gr\u00f6\u00dften Risiko f\u00fcr die n\u00e4chsten Generationen geworden. Deutschland muss bis 2045 klimaneutral werden; die Zukunft der deutschen Wirtschaftsnation h\u00e4ngt davon ab, ob wir die Mittel finden, den Umstieg auf eine klimaneutrale Wirtschaft zu schaffen. Deutschland muss in einer Zeit, in der erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg eine feindliche Atommacht seine Nachbarl\u00e4nder \u00fcberf\u00e4llt, verteidigungsf\u00e4hig werden. Die kommenden Jahre werden entscheidend sein, ob die n\u00e4chsten Generationen eine bewohnbare Erde, eine Demokratie und eine funktionierende Wirtschaft haben werden. Unsere Nation, unser Wohlstand und unsere Zukunft sind durch ein \u00fcberholtes Konzept gef\u00e4hrdet.<\/p>\n\n\n\n

Zukunft gestalten erfordert Mut, nicht Fesseln. Man kann nur hoffen, dass die Politik den Mut findet, die B\u00fcrgerinnen und B\u00fcrger nicht mehr f\u00fcr dumm zu verkaufen und mit Ehrlichkeit voranzugehen. Scholz und Lindner m\u00fcssen eingestehen, was sie l\u00e4ngst wissen: Die Zukunftsbremse muss weg. Sie geh\u00f6rt abgeschafft, sonst schafft sich Deutschland selbst ab.<\/p>\n\n\n\n

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