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Aktuelles

11. September 2024

Wahlkampf in Thüringen – Ein Erfahrungsbericht

Abfahrt ins Unbekannte.

Als Westdeutscher über Ostdeutschland zu schreiben, ist immer eine heikle Angelegenheit. Zu oft werden Klischees bedient, die den Osten als zurückgebliebene Region darstellen. Wer an Thüringen, Sachsen oder Brandenburg denkt, dem fällt oft zuerst die schlechte Stimmung dort ein. Hohe Armut, Perspektivlosigkeit und politische Gewalt prägen das Bild, das in den Medien über Ostdeutschland vermittelt wird. Bekannte aus der Region erzählen von Straßenschlachten und die Tagesschau über die neusten Angriffe auf PolitikerInnen. Trotzdem möchte ich als „Wessi“ versuchen, meine Erfahrungen und Eindrücke mit Euch zu teilen, auch weil ich es wichtig finde, unsere Annahmen und Hintergedanken über “ den Osten” zu hinterfragen. Meine Ansichten haben sich durch den Besuch zumindest verändert.

Aber erstmal zur Sache. Wir Jusos stehen ja bekanntlich für Solidarität und diese wurde jetzt von uns eingefordert. Maximilian Schröter, Genosse aus Thüringen und Landtagskandidat, brauchte im Wahlkampf unsere Hilfe. Sein Wahlkreis ist die Heimatregion des Rechtsextremisten Höcke und damit an vorderster Front im Kampf gegen die AfD. Für die Landtagswahlen in Thüringen sind wir, eine kleine Delegation aus dem Rhein-Erft-Kreis, nach Nordthüringen nach Eichsfeld gefahren. Eine Region, in der der katholische Glaube tief  und eine traditionelle CDU-Hochburg, die sich vom Rest Thüringen etwas abhebt. Trotzdem stiegen wir ehrlicherweise mit gemischten Gefühlen ins Auto ein, als wir Richtung Osten fuhren.

Schon bei unserer Anfahrt in Eichsfeld wurden wir überrascht.

Uns erwarteten schöne Hügellandschaften, weite goldene Felder und eine idyllische Mittelgebirgslandschaft, die von tiefen grünen Tälern zerschnitten ist. Auf den langen Straßen Eichsfelds, bat sich ein wunderschönes Panorama aus Buchenwäldern und kleinen Flüssen dar. Die Kreisstadt Heilbad Heiligenstadt begrüßte uns mit einer ruhigen Innenstadt mit gepflasterten Straßen, in der RentnerInnen und Familien ihre Einkäufe erledigten. Die Innenstadt war spärlich besucht, die Menschen schienen eher in sich gekehrt, zurückhaltend, aber höflich. Es war eine durch und durch gutbürgerliche Gegend, die an wohlhabende Viertel, wie z.b Königsdorf  in meiner Heimatstadt Frechen erinnerte. Keine Spur von den aggressiven Rechtsextremen, die wir befürchtet hatten, keine wütenden oder müden Gesichter, die wir in den Medien gesehen hatten. Stattdessen erlebten wir eine historische, gutbürgerliche, fast spießige Innenstadt, die vielleicht nur etwas verlassen wirkte. Doch die bürgerliche Oberfläche Eichsfelds täuscht. Bei der letzten Europawahl wählte fast jeder vierte Einwohner in Eichsfeld die AfD – eine erschreckende Realität, die uns daran erinnerte, warum wir hier waren. Dass Eichsfeld eine Region mit sauberen Straßen, großen Autos und noch größeren Häusern ist, zeigt, dass die AfD auch in wohlhabenden Gegenden erfolgreich sein kann.

Saubere, leere Straßen und große Häuser. Die meisten Dörfer, die wir besuchten, waren ruhig und beschaulich.

Kaum angekommen ging es schon los.

Nach einem kurzen Treffen mit Maximilian wurde „NRW“ auch direkt zum Verteilen geschickt. Wir fuhren von Dorf zu Dorf, verteilten Flyer und trafen auf Menschen, die uns freundlich, aber auch misstrauisch begegneten. Neben Daimler und SUV sahen wir immer wieder Trabis und Simsons in den Vorgärten, die Kultfahrzeuge des Ostens. Die Kirchenlieder, die wir aus den offenen Türen der Dorfkirchen hörten, und die Kühe, die uns beim verteilen anschnauften, unterstrichen unser Gefühl, in ein anderes, ländlicheres Deutschland gereist zu sein, als wir es bei uns im Rhein-Erft-Kreis gewohnt sind.

Besonders prägend war direkt die erste Begegnung in einem kleinen Dorf, als wir Wahlkampfflyer verteilten. Eine der ersten Sätze, die wir beim Flyer verteilen von einer älteren Dame hörten, war „Bringt das noch was?”. „Es bringt immer was“, antwortete ich und reichte ihr den SPD-Flyer, den sie mürrisch ablehnte. Naja, immerhin nichts, was wir aus dem Westen nicht bereits gewohnt waren. Zumindest erzählten uns hier die Älteren nicht: “Ich habe früher immer SPD gewählt.“
Wie für den Social-Media-Auftritt üblich, machten wir auch Fotos von uns beim Verteilen. Doch das erregte offenbar die Aufmerksamkeit einiger DorfbewohnerInnen. Kurz bevor wir ins nächste Dorf aufbrechen wollten, wurden wir von einem freundlich lächelnden Familienvater samt Frau und Kinder angehalten, der uns wie Tatverdächtige auf der Polizeiwache verhörte. Warum wir hier seien, ob wir einbrechen wollten, warum wir die Hausnummern fotografierten? „Merkt ihr nicht, dass euch bereits das ganze örtliche Freibad beobachtet?“ Die Eltern blieben im Ton höflich und nett. Die Skepsis gegenüber unserer offensichtlich ortsfremden Gruppe war aber deutlich spürbar. Erst nachdem wir ihm versicherten, dass wir nur Wahlkampfhelfer und keine Einbrecher seien, ließ man uns weiterziehen.
“Wollen Sie zumindest jetzt unseren Flyer lesen?” – “Öhh… Nein, Danke geht schon.“
In Dörfern passt halt jeder auf jeden auf. Wahlkämpfer gibt es hier wohl nicht so häufig. Gleichzeitig merkten wir, dass einem hier als Fremder, besonders als jemand mit Migrationshintergrund, viele argwöhnische Blicke zugeworfen wurden.

Potenzieller Einbrecher bei der Arbeit.

Die Jusos in Eichsfeld empfingen uns herzlich.
Endlich zurück in Heilbad Heiligenstadt angekommen begegnete uns ein warmer Empfang. Mit Mate-Soda und Pizza lernten wir die Jusos Eichsfeld und die Unterstützung aus dem Rest der Republik kennen. In dem Haus eines Genossen durften wir dann für die Nacht unterkommen. Es war beeindruckend zu sehen, wie eine so kleine aber engagierte Truppe Wahlkampf auf einem fast 1000 km² großen Landkreis mit über 80 Ortschaften machte. Bei einem der örtlichen kleinen Wasserfälle machten wir einen Abendspaziergang. Niemand ließ sich von schlechten Umfragen oder den düsteren Prognosen abschrecken. Obwohl die politischen Verhältnisse in Eichsfeld viel düsterer sind, als bei uns im Rhein-Erft-Kreis, waren die örtlichen Jusos überhaupt nicht demotiviert oder pessimistisch. Im Kampf gegen den Faschismus gibt man eben nicht auf!

Fremdenfeindlichkeit und Identitätspolitik.

Am nächsten Morgen klapperten wir erneut stundenlang mit dem Auto die Dörfer und ländlichen Gemeinden durch. Einige der Gemeinden, die wir dabei abflyerten hatten nur 12 Einwohner, andere 500. .Manchmal lief man minutenlang von einem großen Grundstück zum nächsten Briefkasten. Unsere wenigen Flyer wäre man In NRW bei einem der zahlreichen Wohnungsblöcke wohl in Minuten  losgeworden. Es war wie in einer anderen Welt.

Während der langen Wege, vorbei an zahlreichen Wahlplakaten, fiel uns die Inhaltslosigkeit der AfD-Kampagnen auf. Ihre Plakat-Parolen wie „Im Osten geht die Sonne auf“ oder „Der Osten machts“ setzen auf eine aggressive ostdeutsche Identitätspolitik, die jedoch kaum Substanz hat. Die AfD versucht, Ostdeutschland und seine Kultur für sich zu vereinnahmen. Da setzt sich z. B. ein Höcke auf ein bei ostdeutschen Jugendlichen beliebtes Simson-Moped und sagt sinnbefreit „Ja zur Jugend”. Ob damit auch junge Menschen mit Migrationshintergrund gemeint sind?

Besonders befremdlich waren die fremdenfeindlichen Plakate von AfD, BSW und sogar CDU. Sprüche wie „REMIGRATION JETZT“ und „Heimat statt Multikulti“ sollen Angst vor Migration schüren – in einer Region, in der die Migrationsquote gerade einmal 5% beträgt (Rhein-Erft-Kreis 14%). Fast jedes Wahlplakat dieser Parteien drehte sich um das Thema. »Phantomdebatten«, nannte es ein örtlicher Juso. Es war absurd, diese Botschaften in einer Region zu sehen, in der Migration kaum eine Rolle spielt. Es wurde Wahlkampf betrieben gegen nicht existierende Ausländer. In einer Gegend, in der ich keine andere Sprache als Deutsch hörte und auch kaum Migranten sah. In einigen dieser Dörfer gibt es sicherlich nicht mal einen einzigen Menschen mit Migrationshintergrund.  

Ich gestehe ehrlicherweise, mich mit meinen schwarzen Haaren in diesen Momenten durchaus seltsam gefühlt zu haben. So, als wäre man als BiPoC hier nichts anderes als ein Fremdobjekt, etwas das nicht hier sein sollte. 

In einer weiteren kleinen Gemeinde traf ein anderer Juso auf eine Familie, die in ihrem großen Garten vor einer luxuriösen Villa grillte. Es war ein stereotypisches deutsche Familienbild: Der Vater am Grill, die Kinder beim Fußballspielen, die Mutter bei der Gartenarbeit. Der Mann gab im Gespräch an, keine großen Probleme zu haben. Er war offensichtlich rundum zufrieden mit seinem Leben. Ihm fehlte nichts! Doch als das Gespräch auf die politische Lage umschwengte, wechselte der Vater, weiterhin lächelnd und entspannt, das Thema zu einer tiradischen Fremdenfeindlichkeit. „Dass die ganzen Ausländer weg sollten“, meinte er lachend, während er die Würste drehte. Natürlich werde er die AfD wählen. Seine Tochter solle lieber nicht mit einem Fremden zusammenkommen. Es war kein aggressiver, sondern ein im Ton „freundlicher“ Rassismus. Diese Haltung schien für diesen AfD-Wähler normal zu sein. Gespräche wie diese hörten wir von unseren Genossen häufiger. 

Bei den langen Fahrten zum nächsten Dorf, hatten wir immer wieder Gelegenheit, über das Erlebte nachzudenken. Wie kann es sein, dass in so einer bürgerlichen und netten Gegend 30% der Stimmen an die AfD gehen? Was ist das Problem hier in Eichsfeld, welches es nicht bei uns im Rhein-Erft-Kreis gibt? Ist es wirklich nur Unzufriedenheit mit der Bundesregierung? Armut und kaputte Straßen können es ja nicht sein. Auch das Internet ist top ausgebaut. Einige Gegenden Thüringens sollen richtig arm und heruntergekommen sein. Hier in Eichsfeld kann davon aber keine Rede sein.

Direkt neben der Innenstadt von Heilbad Heiligenstadt finden sich malerische Gegenden, wo wir unsere Pausen verbrachten. Hier ein kleiner Wasserfall.

Der Osten ist nicht verloren.

“Der Nährboden der AfD ist Ungerechtigkeit. Der AfD geht es nur gut, weil es anderen schlecht geht.”

“Die Menschen wählen AfD weil sie unzufrieden sind, die haben nicht automatisch was gegen Ausländer.”

Sätze wie diese höre ich bei meinem westdeutschen Freundeskreis und bei den Jusos REK immer wieder. Ich habe sie auch geglaubt und propagiert. Als BiPoC habe ich immer versucht, die hohen Wahlergebnisse dieser fremdenfeindlichen Partei als Symptome für andere Probleme wegzurationalisieren.

 “Massenvertreibungsphantasien rechtsextremer Spinner sind Einzelphantasien. Sowas ist niemals irgendwo mehrheitsfähig!”

“Die Menschen wählen AfD, weil sie Habeck und Scholz nicht mögen, nicht weil sie wirklich was gegen BiPoC haben!”

Aber meine gängigen Erklärungen für die AfD griffen hier einfach nicht. Je länger ich im Eichsfeld blieb, umso ratloser ließ mich die Region zurück.

Was bleibt nach drei Tagen Wahlkampf in Nord-Thüringen?
Sicherlich sind Armut und soziale Ungerechtigkeit Brennstoffe für Rassismus, aber sie sind nicht notwendig. Wohlstand und saubere Straßen schützen nicht vor Fremdenfeindlichkeit. Die Menschen hier leben in einer malerischen, wohlhabenden Umgebung, doch die Angst vor dem Unbekannten, vor dem Fremden ist tief verwurzelt. „Heimat statt Multikulti“ funktioniert als Wahlkampfslogan dort besonders gut, wo es kaum „Multikulti“ gibt und die Menschen Migration nur aus den Schlagzeilen kennen – verbunden mit negativen Bildern wie denen von Solingen. „Heimat“ – Das Gefühl, in den Dörfern unter sich zu sein, und die Angst vor einer Zukunft, die sich zunehmend fremd anfühlt. Diese Angst, diese Unsicherheit, ist der wahre Nährboden, auf dem die AfD wächst.

Die Landtagswahl im Eichsfeld ging für die SPD nicht gut aus. Die SPD holte nur 4% der Stimmen, die AfD fast 30%. Die CDU gewann den Wahlkreis mit fast 40%.

Einzig bei jungen Menschen konnten wir unser Ergebnis steigern, immerhin.

Trotzdem sollte man den Osten jetzt nicht für verloren erklären!

Bei einem der entspannten Abende in den Lokalen von Heiligenbad mit ein paar Gläsern Weißwein und Bier erklärte es uns einer der Jusos Eichsfeld so: „Hier im Osten geht es wie die Landschaft auf und ab: Bei der Europawahl waren wir bei 5%, bei der Bundestagswahl bei fast 25 %. Keine Partei ist hier verfestigt, nichts ist hier von Dauer.”

Der Osten ist nur verloren, wenn wir aufhören, für ihn zu kämpfen.

Die Wahl gegen Rechts war vorbei, aber der Kampf gegen Rechts geht weiter!


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