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Kein Sozialstaat mit der Brechstange: Warum diese Bürgergeld-Reform ein Rückschritt ist
Ein Kommentar der Jusos Hürth
Was CDU und SPD da als „Durchbruch“ feiern, ist in Wahrheit ein sozialpolitischer Rückschritt, der weh tut. Die schwarz-rote Bundesregierung um Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) will das Bürgergeld verschärfen bis „an die Grenzen des Verfassungsrechts“. Das ist kein Fortschritt, das ist ein Angriff auf die Menschenwürde.
Statt Armut zu bekämpfen, werden wieder einmal die Armen bekämpft. Wer dreimal einen Termin im Jobcenter verpasst, dem sollen künftig alle Leistungen gestrichen werden, inklusive Miete. Das bedeutet im Klartext: Menschen verlieren ihr Zuhause, weil sie eine Behörde nicht rechtzeitig erreichen. Das trifft besonders Menschen in Not oder in Ausnahmesituationen, etwa weil sie krank sind, sich um Angehörige kümmern oder schlicht überfordert sind. Viele schlecht gebildete oder ausländische Mitbürger:innen, die ohnehin mit Sprachbarrieren, Bürokratie und Scham zu kämpfen haben, werden so zusätzlich an den Rand gedrängt.
„Diese Reform trifft genau die Falschen“, sagt Lennart Hensen, Vorsitzender der Jusos Hürth.
„Menschen in schwierigen Lebenslagen brauchen Unterstützung und keine Drohbriefe vom Amt. Es ist zynisch, Menschen das Existenzminimum zu streichen, weil sie in Not sind oder überfordert. Sozialpolitik darf nie zur Erpressung werden.“
Das Schamgefühl vieler Betroffener, die ohnehin das Gefühl haben, „versagt“ zu haben, wird durch diese Reform noch verstärkt. Wochenlang wurden Arbeitslose in Talkshows und Leitartikeln als „faul“ oder „respektlos“ diffamiert: Eine perfide Kampagne, die nichts anderes war als ein Ablenkungsmanöver vom politischen Versagen der Bundesregierung.
Dass sich laut Umfragen eine Mehrheit der Bevölkerung für härtere Sanktionen ausspricht, ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer rechtskonservativen Medienoffensive, eingeleitet von den Demokratiefeinden, die gezielt Ressentiments schürt, um von den wahren Problemen abzulenken: zu wenig bezahlbare Wohnungen, stagnierende Löhne und ein Arbeitsmarkt, der für viele schlicht keine Chancen bietet. Das ein großer Teil der privaten und öffentlich-rechtlichen Medien und scheinbar auch die Bundesregierung sich von dieser Stimmungsmache ermutigt fühlten, zeigt auch ein Demokratieproblem auf. Eine Unwahrheit wird so lange wiederholt, bis sie es als falsche Tatsache sogar auf den Kabinettstisch schafft.
„Der Arbeitsmarkt ist aktuell eingefroren, es gibt kaum offene Stellen, aber immer mehr Druck auf Arbeitslose“, so Malte Wingen, stellvertretender Juso-Vorsitzender.
„Anstatt Menschen mit Sanktionen zu überziehen, sollte die Bundesregierung lieber für sichere Jobs, gute Löhne und gezielte Investitionen sorgen. Wir brauchen Wirtschaftspolitik mit Herz, nicht mit Härte.“
In dieser Lage Menschen mit Leistungskürzungen zu bedrohen, ist nicht nur unfair, sonder es ist auch ökonomisch unsinnig. Die Bundesregierung sollte nicht mit Sanktionen, sondern mit Impulsen reagieren: Durch Steuersenkungen für kleine und mittlere Einkommen, insbesondere auf Lebensmittel, und durch gezielte Programme zur Konsumstärkung. Nur so kommt Bewegung in die Wirtschaft und nicht durch Druck auf die Schwächsten. Selbst das Bundesverfassungsgericht hat 2019 entschieden, dass das Existenzminimum nicht angetastet werden darf. Offenbar interessiert das die Regierung wenig. Die Kritik aus der Partei kommt mit Wucht und sie kommt zu Recht. Die Oberbayern-SPD hat sich klar gegen diesen Kurs gestellt. „Menschenwürde statt Sanktionswut“ heißt es in ihrem Beschluss. Auch die Jusos in Bayern, Baden-Württemberg und bundesweit laufen Sturm gegen die Pläne.
Der Juso-Bundesvorsitzende Philipp Türmer bringt es auf den Punkt:
„Dass jetzt unter der Beteiligung der SPD wieder eine Rolle rückwärts gemacht wird, tut extrem weh und ist falsch.“
Er erwartet, dass das Bundesverfassungsgericht diesen Entwurf kassieren wird.
Und auch wir in Hürth sagen: Recht hat er.
Wer glaubt, man könne Menschen mit Zwang, Drohungen und Kürzungen motivieren, hat das Prinzip sozialer Sicherheit nicht verstanden. Die Ursache für Armut ist nicht mangelnde Motivation: Es sind schlechte Löhne, befristete Jobs, steigende Mieten und ein entleerter Sozialstaat.
Wenn die SPD sich jetzt wieder in der Rolle der Erziehungsberechtigten der Armen gefällt, verliert sie ihre Glaubwürdigkeit als soziale Partei. Wir Jusos sagen klar:
Sozialdemokratie heißt Vertrauen, nicht Misstrauen. Hilfe, nicht Strafe. Würde, nicht Druck.
Während die Koalition Milliardenvermögen unangetastet lässt, sollen Menschen, die am wenigsten haben, erneut die Härte des Systems spüren. Wie schon die Jusos Baden-Württemberg schrieben:
„Anstatt Superreiche per Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer endlich zu beteiligen, wird hier wieder auf dem Rücken der Ärmsten gespart.“
Diese Reform ist nichts anderes als ein politisches Signal an die Stammtische der Republik, aber eines das die Grundwerte der SPD verrät.
„Wer Sozialstaat sagt, muss auch Gerechtigkeit meinen“, sagt Lennart Hensen.
„Wir müssen endlich aufhören, die Schwächsten zu belehren, und anfangen, sie zu entlasten. Der Staat darf nicht zum reinen Disziplinierer werden, sondern muss Partner der Menschen sein.“ Wenn Friedrich Merz im Kanzleramt sitzt und Bärbel Bas den Sozialstaat auf CDU-Linie trimmt, dann ist klar: Die SPD darf dazu nicht schweigen. Wir Jusos Hürth fordern die SPD-Bundestagsfraktion auf, sich an die Seite der Jusos und SPD-Basis zu stellen und diesen Kurs zu stoppen.
Wir sehen, dass dieser Schritt politisch kaum vermeidbar war, um den Koalitionsfrieden zu wahren. Und Demokratie besteht aus dem Kompromiss als Wesenskern. Allerdings darf dies niemals dazu führen Menschlichkeit und den Kern der eigenen Partei aufzugeben. Und gerade deshalb fordern wir: Schluss mit der Defensive! Die SPD muss sich endlich dem rechten Kulturkampf entgegenstellen: entschlossen, klar, solidarisch.
Wir brauchen keine Angstpolitik, sondern eine Politik der Zuversicht. Keine Kürzungen, sondern individuelle Unterstützung. Keine Strafen, sondern gute Betreuung in den Jobcentern mit mehr Personal, mehr Zeit und echten Perspektiven.
„Was wir brauchen, ist nicht weniger Menschlichkeit, sondern mehr“, betont Malte Wingen.
„Wir fordern die Rücknahme dieser Reform und stattdessen gezielte Investitionen in die soziale Infrastruktur, in Bildung, Betreuung und Beratung. Das ist echte Arbeitsmarktpolitik.“
Denn wer in schwierigen Zeiten Solidarität ernst meint, darf sie nicht zur Bedingung machen.
Oder, um es sozialdemokratisch zu sagen:
Wir stehen an der Seite derer, die Hilfe brauchen und nicht derer, die sie ihnen verwehren wollen.
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