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28. Februar 2024

Was ist eigentlich Existenzminimum?

In diesem kleinen Blogbeitrag werde ich exemplarisch den radikal liberalen Gedanken einer völligen Leistungsgesellschaft und Berücksichtigung eines „Sozialstaats“ in einer fiktiven Realität auf die Spitze treiben. Ziel ist die Frage zu klären: Wo liegt eigentlich das Existenzminimum?

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass es beispielsweise nicht möglich, ist durch Sanktionen die kompletten Leistungen für Arbeitslose zu streichen, ein gewisser Anspruch und eine Pflicht ergibt sich sowohl aus der Menschenwürde im Grundgesetz, als auch aus der Garantie eines Sozialstaats in Art. 20 im Grundgesetz. Wenn wir diesmal beiseite stellen, tut sich die Frage auf, wo denn das denkbare Existenzminimum eines Menschen liegt? Lasst uns groß starten bei der Wohnung, die separat vom Bürgergeld zur Verfügung gestellt wird, auf nähere Regelungen wird explizit hier im Beitrag nicht eingegangen. In unserem Gedankenspiel streichen wir diese Leistung komplett, Arbeitslose werden in Turnhallen und eigens errichteten Camps mit Zelten untergebracht. Das heißt reihenweise Doppelbetten, die einzelnen Zimmer, die sich jeweils zwei Familien teilen müssen, werden durch Planen voneinander getrennt. Das Licht wird dort zentral an und ausgestellt, Wasser wird zentral ausgegeben, es gibt Waschräume und Duschen für die gesamte Gruppe und eine Beschränkung für Warmwasser. Die Kosten hier können also hier enorm eingespart werden und mögliche Anreize arbeitslos zu bleiben ausgemerzt werden. Damit fallen auch die 42,53 € pro Person, die nach Angaben von hartz4widerspruch.de den Menschen 2023 im Regelsatz zur Verfügung stand, der insgesamt bei 502 € lag. Dieses Geld kann also schonmal auf wenige Euro gekürzt werden zusätzlich zur Wohnung, die der Staat jedem Empfänger aktuell zur Verfügung stellt.

Gehen wir weiter zu Bekleidung und Schuhen. Hierfür hat jeder Mensch nach hartz4widerspruch.de 
41,65 € zur Verfügung. Kleidung wird extrem günstig bei den Fast Fashion Unternehmen produziert und eingekauft in unserem Szenario, ganz klassisch, weiße T-Shirts, Jeans und Schuhe. Jeder bekommt hiervon zwei Paar zur Verfügung, Individualität ist hier nicht vonnöten. Die Kleidung sollte wohl ein halbes Jahr reichen, somit würde man auch in diesem Sektor sicher deutlich weniger als 10 € pro Person im Monat ausgeben. Die 30,57 € für Inneneinrichtung und Haushalt können wir fast komplett streichen, alle nutzen dieselbe Halle/Camp und gekocht wird zentral im großen Kanonen. Damit lässt sich auch direkt der größte Sektor Lebensmittel einsparen. Die 174,19 € wird radikal heruntergebrochen. Es werden täglich die Mengen genau abgewogen, zum Überleben soll es reichen, von Leben spricht keiner. Anhand des Vitamins und Mineralien Bedarfs werden Präparate verteilt, die sich günstiger herstellen lassen und einfacher lagern lassen, als frische Lebensmittel. Abwechslung im Speiseplan soll es nicht geben, folglich werden Desserts, Softdrinks oder sonstige Art von Luxus gestrichen. Alkoholiker oder Raucher werden in den kalten Entzug geschickt, wer das nicht aushält, soll arbeiten gehen. Für Freizeit, Unterhaltung und Kultur sind 48,98 € vorgesehen. Aus purer Menschenliebe und Freundlichkeit wird ein großer Fernseher pro Camp/Turnhalle angeschafft, wo sich die Menschen Abend zentral für 90 Minuten einen Fernsehfilm ansehen können. Sonstige Kultur oder Unterhaltung wird gestrichen, es gibt lediglich eine Theater-AG, wo sich die Insassen, ich meine natürlich Arbeitslosen, selber bespaßen können. Auch hier kommen wir also mit wenigen Euro im Monat aus. Die 45,02 € für Verkehr können ebenfalls vollkommen herausgenommen werden, den Menschen wurde das Auto oder andere individuelle Transportmittel schon lange weggenommen und verkauft. Nur gespendete, alte Fahrräder stehen zur Verfügung und die beiden Beine um sich in den Städten zu besuchen, ein Ticket für den ÖPNV benötigen die Menschen nicht, sie haben ja alles im Camp bzw. in der Halle. Hier ist sogar der erste Sektor wo wir auf 0 € kommen können, Krise kann auch geil sein.

Nachrichtenübermittlung wird mit 44,88 € im 2023 geltenden Regelsatz ermöglicht, bei unserem Experiment bleibt davon fast nichts mehr übrig. Die Abendnachrichten werden täglich über den oben angesprochenen Fernseher gesendet, es werden einige wenige Zeitungen angeschafft, die sich alle teilen müssen und Radios können die Menschen ebenfalls in Gruppenräumen hören. Wem das nicht gefällt oder besser informiert werden will, kann ja arbeiten gehen völlig unabhängig von seiner sozialen und persönlichen Situation, in Deutschland kann es doch jeder schaffen und wir haben alle die gleichen Chancen um Millionär zu werden. Wer arbeitslos ist, muss selbst Schuld sein, man hätte sich mehr anstrengen können. Die 13,11 € für Beherbergung- und Gaststättendienstleistungen sind ebenfalls komplett zu streichen, Gaststätten oder Herbergen können nicht besucht werden, die Menschen bleiben 365 Tage in der zentralen Unterkunft, außer sie leben auf eigene Kosten bei ihren Verwandten. PS: Die Kleidung müssen sie selbstverständlich in der Unterkunft lassen. Da der Staat in unserem radikalen Beispiel kein Unmensch ist, bleiben die 19,16 € für Gesundheitspflege bleiben fast vollständig erhalten. Zahnbürsten, Zahnseide, ein Handtuch und Körpercreme werden jeder Person individuell zur Verfügung gestellt. In den Gruppenduschen gibt es Spender für Duschgel und Shampoo. Kämme, Bürsten oder andere Luxusartikel müssen sich alle Bewohner teilen, Schminke wird nicht ausgegeben. Unsere beiden letzten Geldposten sind andere Waren und Dienstleistungen mit 40,06 € ich denke wir sind uns alle einig, wenn wir dies komplett streichen. Die Haare können sich die Menschen mit einer Schere selbstständig kürzen, andere Dienstleistungen werden nicht benötigt. Die letzte Kategorie wird den Arbeitslosen zu 100 % ausgezahlt. Ihr habt richtig gehört. Dieser Staat zahlt den Menschen etwas zum gültigen Regelsatz aus und verdoppelten diesen Betrag sogar auf 3,62 €. Es geht um Bildung, es wird eine Bibliothek errichtet mit umfassender Finanzlektüre und den Biografien aller ehemaligen Finanzminister und Self-Made Millionären in Deutschland. Die Macher Mentalität soll den Menschen eingebrannt werden, damit sie, wenn sie die Camps verlassen, auf ein Leben in Arbeit vorbereitet sind.

Ich beende hier das Experiment und wie euch sicherlich aufgefallen ist bin ich nicht auf Pflichtversicherungsleistungen eingegangen oder die Situation von Kindern, ich denke aber jeder kann sich vorstellen wie das ausgehen würde. Was ich nicht angesprochen habe: Solche Camps bzw. Hallen sind extrem anfällig für Gewalt zwischen Personen, Gewalt zwischen Partnern, Gewalt gegen Kindern, körperliche und seelische Misshandlung, Mobbing, sexuelle Misshandlung und Vergewaltigungen, Diebstahl, Verletzungen der Privat- und Intimsphäre und diese Liste lässt sich unendlich weiter fortführen. Und womit ich mit diesem Artikel auch hinaus möchte, einige Menschen auf der Welt müssen wirklich so Leben, teilweise nicht so extrem, aber es nähert sich durchaus an. Nämlich in Flüchtlingslagern auch an den europäischen Außengrenzen. Da sind alle diese Straftaten an der Tagesordnung und ungefähr wie oben beschrieben wird den Menschen alles weggenommen und sie sind auf sich alleine gestellt, egal wie stark sie körperlich und mental sind, ob sie Familie haben oder alleine sind, was zu extrem Machtgefällen innerhalb solcher Camps führt. Und auch in Deutschland bringen wir Flüchtlinge teilweise in Turnhallen unter, was ebenfalls eine sehr unbefriedigende Situation darstellt.

Doch der eigentliche Gedanken des Beitrags war natürlich auf die Fantasien abzuzielen, die einige Menschen des konservativ, liberalen und rechtem Spektrum gerade teilen und was sich teilweise sogar als „Mainstream Meinung“ etabliert hat. Was allen aufgefallen sein sollte, was ich dort beschrieben habe, hat nichts mehr mit einem würdigen Leben zu tun und ist deutlich härter als ein Gefängnisaufenthalt. Jeder Mensch hat, unabhängig davon, ob er gerade einen Job hat oder nicht, ein Leben verdient das ihm zumindest ein physisches und auch soziologisch-kulturelles Minimum zusichert. Dazu kommen noch Güter, wie Freiheit, Sicherheit und Privatsphäre. Alle diese Dinge habe ich den Menschen, die in den oben genannten Einrichtungen hätten leben müssen genommen und einige Vertreter von großen Parteien in Deutschland, haben den feuchten Traum, das man sich diesem Zustand annähert. Für mich nicht nur völlig undenkbar, sondern auch widerlich und menschenverachtend. Natürlich, und auch das möchte ich betonen, soll sich niemand in seiner Arbeitslosigkeit sonnen und sich auf Kosten anderer, die 40 Stunden in der Pflege, Verwaltung, Schule oder Reinigung arbeiten ein schönes Leben machen. Auch gegen diese Menschen habe ich eine Abneigung. Allerdings ist die größte Gruppe der Bürgergeldempfänger die der Kinder und Familien, die es verdient haben auch finanziell die Chance zu bekommen, ihre Armut zu beenden und vor allem an sozialer und gesellschaftlicher Beteiligung. Viele der Empfänger haben Lebenskrisen, Suchtprobleme oder andere Erkrankungen oder bereits viele Jahrzehnte in Deutschland gearbeitet. Es ist ein vollkommen absurder Plan, diesen Menschen die Leistungen noch weiter zu kürzen. Deswegen appelliere ich an die Bundesregierung, aber auch an das demokratische, politische Spektrum sich an den menschlichen, solidarischen Gedanken zu erinnern.


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Autor*in
Lennart Hensen

stellvertretender Vorsitzender

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